Zweisystem-U-S-Bahn-Fahrzeuge und ihre Vorteile für MünchenVerwandte Themen: [Verkehr] [MVV] [S-Bahn] [U-Bahn] [Dr. Klaus Zimniok][Politische Aktivitäten] [Presse] |
Die Hansestadt Hamburg macht es vor, aber - man registriert es etwas ungläubig - auch Athen: wie man durch technische Synergien und den betrieblichen Verbund zweier bislang getrennter Bahnsysteme Verkehrsaufgaben kundennah und kostengünstig löst (siehe "Kasten" rechts). Beiden Projekten ist gemeinsam, dass auf den innerstädtischen Tunnelstrecken die Stromzufuhr aus seitlichen Gleichstromschienen erfolgt, während bei den "Überland"-Streckenabschnitten die herkömmliche Oberleitung benutzt wird - und das alles umsteigefrei mit einem Fahrzeug, einem so genannten Zweisystem-Fahrzeug.
"Stell Dir vor, Münchner U-Bahnzüge könnten auch S-Bahnstrecken befahren!"
Aha, und was würde es bringen?!Mit diesem Konzept lässt sich das so genannte West-Problem des Münchner S-Bahnsystems elegant und preiswert lösen. Das West-Problem ist dadurch charakterisiert, dass die heutigen 30 Zugpaare pro Stunde durch die S-Bahnstammstrecke zwar den Münchner Osten "rechts der Isar" mit seinen fünf Außenästen voll im 10-Minuten-Takt erschließen würden (Aufnahmefähigkeit der Außenäste ab Ostbahnhof vorausgesetzt), nicht jedoch die 6 westlichen Äste und den Ast nach Wolfratshausen/Geretsried ("links der Isar"). Diese erfordern 39 Zugpaare pro Stunde unter der Isar.
Die 9 zusätzlich notwendigen Zugpaare im Westen könnten aber durch die U4/5 spielend "geliefert" werden, da die U4/5 wie jede Münchner U-Bahnlinie bis zu 24 Zugpaare pro Stunde verträgt.
Auf diese Weise könnte im Westen der S-Bahnast bis Gauting und der bis Buchenau (FFB) auf den dringend notwendigen 10-Minutentakt während der Hauptverkehrszeiten verstärkt werden. Wird auch der Taktverstärker bis Wessling auf U5-Bedienung umgestellt, dann gewinnt man genau die drei S-Bahn-Zugpaare links der Isar, die notwendig sind, um auf der S1 rechnerisch einen 10-Minuten-Takt einzuführen.
Reizvoll ist auch die Option, dass ergänzende Flughafenlinien U-S48 zunächst am Flughafen starten und ab Johanneskirchen als U4-Express in die Stadtmitte eilen.
Wenn der Ringschluss Erding kommt und somit eine Verbindung zwischen der heutigen S2-Ost-Endstation Erding und dem Flughafenbahnhof existiert, dann bietet sich auch eine Verlängerung der U2-Ost von Messestadt-Ost nach Feldkirchen S-Bahnhof an mit einem bahnsteiggleichen Übergang zwischen U2 und S2. Auch diese Stelle eignet sich für eine Systemverbindung.
Systembedingt konnten die Züge der S-Bahn Hamburg nur im Gebiet des Stadtstaates auf eigenen Gleisen fahren - wie in Berlin. Anstatt das S-Bahnnetz parallel zu vorhanden DB-Schienen ins Umland auszudehnen, entschied man sich für eine Mitbenutzung dieser Infrastruktur durch Zweisystem-S-Bahnzüge. Pilotfall war die Strecke von Hamburg-Neugraben in das 30km entfernte Stade in Niedersachsen. Zwei Jahre nach der Einführung der Zweisystem-S-Bahn S3 am 8.12.2007 war das Projekt so erfolgreich, dass es seit 13.12.2009 eine Ausweitung des 10-Minuten-Taktes bis Buxtehude und einen ganztägigen 20-Minuten bis Stade gibt. Die Fahrgastzahlen stiegen seit 2007 um 65% (mehr auf www.niederelbe-s-bahn.de von Arne Wiechern).
Und ab 2016/7 wird der Zweisystem-Betrieb durch Einsatz der 140 km/h schnellen neuen Baureihe ET 490 auf weitere Linien ausgeweitet (mehr), die ersten ET490-Züge sind schon fertig (mehr)- glückliches Hamburg!
Noch etwas älter ist das Beispiel der Flughafen-Metro M3 in Athen für einen funktionierenden und vorteilhaften Zweisystembetrieb.
Seit 2004 (Olympia 2004) verbindet sie die Athener Innenstadt mit dem neuen Flughafen Eleftheros Venezelos und ist dabei etwa 20km oberirdisch auf der mit 25 kV 50Hz elektrifizierten Strecke der Attika-Linie unterwegs (Video). Im Untergrund zieht die Athener Zweisystem-Metro den Dach-Stromabnehmer ein und wird U-Bahn-typisch mit 750 V Gleichspannung aus einer seitlichen Stromschiene versorgt - wie die Münchner U-Bahn.
Die japanischen Großagglomerationen wie Tokio und Osaka gelten zu Recht als Leuchttürme des Öffentlichen Verkehrs. Und dort ist es gang und gäbe, dass in der nachmittäglichen rush hour U-Bahnzüge auf Gleisen anderer Bahnfirmen ins Umland fahren.
Siehe: Esser, Markus: ÖPNV-Paradies im Lande der aufgehenden Sonne – ein Reisebericht in: „der Fahrgast“ Heft 2/ 2009 S.6-12.In Hamburg ist das seit 9.Dezember 2007 Wirklichkeit: seither fahren 42 Zweisystem-S-Bahnzüge der Baureihe ET 474.3 auf der Linie S3 nicht nur auf den angestammten Stromschienen-Gleichstromstrecken der S-Bahn (analog der Münchner U-Bahn), sondern auch den "normalen" Wechselstrom-Oberleitungschienen der Deutschen Bahn zwischen Hamburg-Neugraben und Stade über Buxtehude, fahren also auch auf Gebiet des Landes Niedersachsen. Großer Vorteil: man sparte sich auf 30 km Länge den Bau eigener Gleise für die S-Bahn und die teuren Erweiterung von Unterwegs-Bahnhöfen durch einen neuen Bahnsteig. Jeder Hamburg-Besucher kann sich überzeugen, wie "stoßfrei" der Übergang von einem zum anderen Stromsystem erfolgt - einfach toll.
Und ab 2016/7 wird der Zweisystem-Betrieb durch Einsatz der 140 km/h schnellen neuen Baureihe ET 490 auf weitere Linien ausgeweitet (mehr) - glückliches Hamburg!
Auch die MVG hat immer wieder betont, dass ein derartiger Mischbetrieb durchaus technisch auch in München machbar wäre. 2001 hat MVG-Chef Herbert König die Idee eines "Stadionsprinters" mit Zweisystem-U-Bahnen ins Spiel gebracht, die vom Hauptbahnhof über Moosach und den Nordring bis zum System-Übergang zur U6 (Bild)und von dort zum Allianz-Arena-Bahnhof fahren sollten (..mehr).
Auf einer Veranstaltung der damaligen SPD-Landtagsabgeordneten Dr. Hildegard Kronawitter hat MVG-Chef Herbert König laut dem "Freisinger Tagblatt" vom 2.9.2008 im Zusammenhang mit einer Verlängerung der U6 über Neufahrn bis Freising das Thema "Zweisystem-U-Bahnen" ein weiteres Mal öffentlich erwähnt.
Viel zu wenig ist auch unter den heutigen Verantwortlichen bekannt, dass bei Konzeption des Münchner U-Bahnsystem in den 1960er Jahren die möglichst weit gehende technische Nähe zur S-Bahn ein konstitutives Element war. Sensationellerweise haben die U-Bahn-Planer mit Dr. Klaus Zimniok an der Spitze ganz bewusst den Einsatz von Zweisystemfahrzeugen in ihr Kalkül gezogen. Diese Geschichte finden Sie [hier].
Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass der VCD München schon 2002 eine Broschüre zum Thema "Zweisystembetrieb" veröffentlicht hat, deren Inhalt auf vergleichbaren Gedankengängen beruht. Diese Broschüre gibt es [hier] (2,2 MB PDF). Ich bin allerdings erst auf diese Veröffentlichung Ende 2005 hingewiesen worden, nachdem ich "meine" erste Version eines U-S-Zweisystembetriebs ais Sicht des Münchner Ostens entwickelt und im Rahmen meines BA-Mandats vorgestellt habe.